Wir bauen Brücken zwischen Ost und West.

Kriegsende in Graz

Interview mit dem ehemaligen Sowjetoffizier und ersten provisorischen
Kommandanten von Graz, Jampolskij ; Ausschnitt betreffend Graz .
( aufgenommen am 27. 11.1999 in Moskau ).

…………auf welche Weise wurde Graz besetzt und wie wurden Sie zum
Stadtkommandanten?

….in Graz waren keine grossen Kampfhandlungen. Die Deutschen sind
abgehauen, und wir sind nach Graz weitergezogen. Eine unserer
Einheiten ist in Graz einmarschiert und ist dort geblieben. Und warum
ich an dieser Operation nicht teilgenommen habe – es gibt eine kleine
Stadt namens Fürstenfeld – und ich hatte den Befehl bekommen, dort zu
bleiben, denn es gab angeblich in Fürstenfeld viele Wertsachen und
österreichische Goldbestände. Ich hatte ein Auto voll mit Leuten und
wir sollten dies holen. Einen Tag zuvor war ich aber gestolpert,
hatte ein geschwollenes Bein und konnte nicht fahren und musste im
Bett bleiben. Und in diesem Fürstenfeld haben wir überhaupt kein Gold
gefunden. Und dann sind sie ohne mich weiter gefahren. Und als ich
wieder gesund war, hat mein Divisionskommandeur zu mir gesagt: „ Wir
haben Graz besetzt, du kannst besser als die anderen Deutsch sprechen
und verstehen, du musst dorthin.“ Und so bin ich zum provisorischen
Kommandanten von Graz ernannt worden, und so hat meine Ernennung
ziemlich prosaisch stattgefunden .Als ich zum Kommandanten ernannt
wurde, hat man mir eine Abteilung gegeben, ungefähr 30 Mann, eine
Kommandantengarde. Was musste ein Kommandant zu Beginn seines Auftrags
machen: wir sollten ein Schild machen mit der Aufschrift
„Kommandantur“. Wir machten das und fanden ein passendes Gebäude und
eröffneten die Kommandantur. Zu unseren Pflichten gehörte es, die
Ordnung in Graz aufrecht zu erhalten, damit es keine Verbrechen und
Raubüberfälle gibt. Zu diesem Zweck haben wir einen Plan gemacht. Das
hat mein Adjudant erledigt. Nach seinem Plan mußten 2 Soldaten in
jedem Stadtbezirk Streife gehen und man mußte ihnen die Ausweise
zeigen. Unsere Soldaten konnten kein Deutsch, sie verstanden nicht,
was die Leute sagten, also war das sinnlos. Sie sind patrouilliert und
es war ruhig. Und dann mussten wir noch Veröffentlichungen anschlagen,
dass alle Geschäfte, Kaffeehäuser, Friseure, Ambulanzen, Krankenhäuser
und Ärzte arbeiten müssten, um die Bevölkerung zu versorgen. Das waren
so kleine Plakate.

.…….wie war Ihre Begegnung mit Marika Rökk in Graz ?
Eines Abends öffnete ich einen Brief, in dem stand, ich sollte das
Haus des Gauleiters kontrollieren. Ich kam zu diesem Haus, es öffnete
ein älterer Mann, er war Österreicher , kein Deutscher. Wir haben eine
Durchsuchung gemacht, haben aber nur alte Pistolen gefunden. Ich hielt
das alles für Kram, das waren ganz gewiß keine Kriegswaffen. Dann kam
eine jüngere Frau und sagte: „Ich bin Marika Rökk, eine berühmte
Schauspielerin“ Wir kannten sie nicht. Erst später in Wien habe ich
Filme gesehen, darunter „ die Frau meiner Träume“. Ich weiß nicht , ob
sie das wirklich war, wir haben sie etwa 2 Tage lang bei uns behalten
und dann später zur Aufklärungsabteilung unseres Stabs gebracht , und
seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich, als Kommandant, habe
meine Soldaten gebeten, eine Bibliothek zu finden, denn wenn sie eine
so berühmte Schauspielerin wäre, müsste es dort Fotos von ihr geben.
Und sie haben wirklich Fotos von ihr gebracht. Sie hat schon sehr
ähnlich ausgesehen, aber ob sie das war, weiß ich nicht. Dann gingen
wir in die Herrengasse, dort war ein Kaffeehaus, das wir
kontrollierten , nachdem wir ein Plakat angeschlagen hatten, dass sie
offenhalten müssten. Sie sind dort aufgesprungen „Guten Tag Herr
Kommandant!“ wie es sich gehört. Ich ging hinein und habe gefragt: „Wo
ist die Musik?“ Sie haben schnell etwas organisiert, es kam ein
Pianist, ein Violinspieler und ein Kontrabaßspieler. Das war das ganze
Orchester. Österreich ist das Land von Johann Strauß. Sie spielten
Walzer und wir haben uns an einen Tisch gesetzt, der war nicht aus
Holz, sondern wie aus Marmor. Der Wirt brachte uns Wein und diese
Frau, Marika Rökk, sagte zu mir, dass sie nicht nur singen, sondern
auch tanzen könne. Und der Wirt hat uns 4 Weingläser gebracht und ich
habe gefragt: „ Können Sie tanzen?“ Und sie tanzte auf dem Tisch um
die Weingläser herum und ich habe ihr vom Tisch geholfen und habe ihr
meine Hand gegeben , und ihre Hand war wie ein Reibeisen. Und ich habe
sie gefragt: „Wieso ist Ihre Hand so hart?“ und sie hat gesagt: „Ich
habe keine Seife gehabt, nur Seifenersatz!“ Und dann haben wir sie zur
Kommandantur zurückgebracht und weitergeschickt. In Graz war ich nicht
lange, ungefähr 3 Wochen, dann hat man mich nach Wien geschickt.

……wie haben Sie Graz und die Bevölkerung in Erinnerung ?
Graz hat auf mich keinen speziellen Eindruck gemacht, ein angenehmes,
schönes , gepflegtes Städtchen mit einer Bevölkerung,die große Angst
vor uns gehabt hat. Das Verhältnis der Leute zu uns war vorsichtig,
Kontakte zur Bevölkerung gab es keine, da es keinen Grund dafür gab.
Sie hatten Angst und ich wollte mich nicht aufdrängen. Die Stadt war
so angenehm wie Österreich. Österreich hat mir überhaupt sehr gut
gefallen.
Österreich hat mir von allen Ländern, die ich gesehen habe, am besten gefallen.
Wenn ich kriegsgefangene Deutsche verhören musste, was sehr unangenehm
war, waren manche so arrogant, dass sie überhaupt nicht sprechen
wollten; andere wieder sagten: „wir sind von Rhein, wir sind die
Fröhlichen.“ Etwas besonders Fröhliches habe ich an ihnen nicht
bemerkt. Sie waren so herablassend.
In Österreich sind die Leute anders.

Beim Einmarsch der vier Alliierten kam es auch zu Übergriffen gegen Zivilpersonen.
Wie war es diesbezüglich in Ihrem Kommandobereich ?

Die Soldaten in meiner Abteilung waren ausgehungert nach Frauen.
Ich sagte zu ihnen: „wenn sich jemand in so eine Sache einlässt, wird
er seine Heimat nicht mehr wiedersehen.“
Wir sind zur Befreiung gekommen, und nicht zu Raub und Vergewaltigung.
Und wir haben, soviel mir bekannt ist, auch tatsächlich keine
derartigen Fälle gehabt.

……war Ihr persönliches Verhältnis zu den Deutschen anders, als zu
den Österreichern ?

Es gab einen Unterschied, der hatte zwei Gründe:
Mit Deutschland haben wir Krieg geführt, denn die Deutschen waren in
unser Land gekommen und wollten uns erobern, und deshalb haben wir
eine bestimmte harte Linie gegen die Deutschen verfolgt. ( Wir hatten
zu ihnen ein ganz anderes Verhältnis, als zu den Österreichern ).
Und von ihrer Seite bestand eine verbitterte Beziehung zu uns. ( In
Österreich sind die Leute weicher, und an eine solche Verbitterung
gegen uns erinnere ich mich nicht.)
Da gab es eine Episode in Deutschland: wir sollten ein Dorf besetzen,
an den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern.
Unsere Vorhut hatte gemeldet, dass dort keine Soldaten seien.
Dort befand sich ein hoher Berg, den wir nicht von vorne, sondern von
der bequemeren Seite besteigen wollte. Fünfzehnjährige Burschen
bewarfen uns mit riesigen Steinen. Aber ich sagte zu den Soldaten:
„keinesfalls schießen wir auf diese Kinder“. Dieses Verhältnis zu
uns…wir hätten bei einem Angriff schießen können. Aber ich dachte
mir damals: „dumme kleine Jungen“.
Man hatte ihnen wohl eingeprägt, sich so zu verhalten, und das hätte
sie das Leben kosten können.
Das sind eben Unterschiede.

Stadtbibliothek Graz

Die Filiale Lauzilgasse der Stadtbibliothek ( leicht mit der Linie 5 zu erreichen, liegt nahe beim Zentralfriedhof ) verfügt über eine größere Anzahl russischer Literatur, auch Kinderbücher; sie bietet ein sehr angenehmes Ambiente, das zum Sitzen, Plaudern und Erholen einlädt.

Homepage Prof. Mangott

Politik und Wirtschaft

Herr Prof. Mangott von der Uni Innsbruck hielt in Graz am 23. April
einen vielbeachteten Vortrag. Wir empfehlen, seine Homepage
www.gerhard-mangott.at zu besuchen, wenn man mehr über die Thematik
Osteuropa und eine weitgehend sachliche Sicht auf Russland wissen
möchte.

Künftige Gedenkveranstaltungen zum 9. Mai

Die von der Stadt Graz und dem Land Steiermark unterstützte Gedenkveranstaltung bei der sowjetischen Grabanlage des Grazer Zentralfriedhofs am 9. Mai 2010 wurde allgemein als sehr gelungen und berührend empfunden. Es ist sicherlich wichtig, das Andenken auch an diese sowjetischen Armeeangehörigen wach zu halten und nicht zu vergessen, wofür sie ihr Leben gelassen haben.

Wir möchten dieses Gedenken auch weiterhin und nachhaltig pflegen und
uns künftig jährlich an jedem 9. Mai um 11 Uhr bei der Gedenkstätte
treffen ( auch wenn wir nur eine kleine Gruppe sind ), der Gefallenen
gedenken und diesen Tag auch dem Gespräch und dem Gedankenaustausch
unter den hier Lebenden widmen.

Aber auch unabhängig vom Totengedenken am 9. Mai kann und sollte man, wenn man die Gelegenheit und das Bedürfnis dazu hat, bei Grabstätten der sowjetischen Kriegstoten Blumen niederlegen oder eine Kerze entzünden. So wird die Erinnerung an jene Toten als Dank und Mahnung auch in Zukunft wach und lebendig bleiben.

Gedenken zum 9. Mai 2010

Die Österreichisch – Russische Gesellschaft organisierte gemeinsam mit dem Verein “Zusammen in der Steiermark” am 9. Mai 2010 eine Gedenkveranstaltung bei der sowjetischen Grabanlage am Grazer Zentralfriedhof.

Von offizieller Seite waren gekommen:

  • Herr Landtagsabgeordneter Klaus Zenz in Vertretung des Herrn Landeshauptmannes Mag. Franz Voves,
  • Herr Gemeinderat Bernhard Kraxner in Vertretung des Herrn Bürgermeisters Mag.Siegfried Nagl
  • Herr Oberst Ruslan N. Kuznetsov von der Mission der Russischen Föderation in Wien für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
  • Herr Brigadier Mag. Heinz Zöllner, Militärkommandant des Landes Steiermark
  • Herr Helmut Scheuch vom Österr. Schwarzen Kreuz
  • Herr Mag. Dieter Bacher vom Ludwig Boltzmann Institut, Graz

Außerdem war eine etwa 50 Personen umfassende Gruppe von in Österreich lebenden Bürgerinnen und Bürgern aus der ehemaligen UdSSR gekommen, um der im Kampf oder durch andere Kriegseinwirkungen für die Befreiung Österreichs vom Faschismus ums Leben gekommenen Angehörigen der Roten Armee zu gedenken. Die Anwesenden boten ein buntes Bild, es waren alle Altersgruppen vom Kind bis zum ehemaligen Kriegsveteranen mit Fahnen, Blumen und den traditionellen schwarz – orangen Ordensbändern vertreten.

Offizielle kurze Ansprachen würdigten das Opfer Russlands und seiner Armee für die Befreiung Österreichs und Europas vom Faschismus und mahnten eindringlich, alles nur Mögliche zu tun, um Kriege in Europa und möglichst weltweit künftig zu verhindern. Frau Natascha Khabenskaya – Gorke umrahmte und begleitete die Veranstaltung mit Liedern zur Gitarre, sie sang von Schmerz und Tod, von der Hoffnung auf glückliche Heimkehr und von einsamen Müttern, die keine Heimkehr ihrer Söhne erleben durften. Frau Nadja Ulbl aus Graz trug berührende eigene Lyrik und ein Gedicht von Anna Achmatowa vor, aus all diesen in Worte gefaßten Gedanken und Gefühlen waren neben Trauer und Ohnmacht auch Hoffnung auf und der starke Wille zum Leben zu spüren.


Nach den Kranzniederlegungen schmückten die Anwesenden das den Gefallenen gewidmete Denkmal der Tradition und dem eigenen Bedürfnis folgend mit den mitgebrachten Blumen. Anschließend an die Veranstaltung bei der Grabanlage trafen sich die Teilnehmer in einem nahegelegenen Lokal als Gäste der Stadt Graz zum Mittagessen. Dabei referierte Herr Mag. Bacher vom Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung Graz über die Arbeit des Instituts und stellte das Buch von Herrn Ing. Peter Sixl über sowjetische Kriegsgräber in Österreich vor.


Russlandvortrag Prof. Mangott

Am 23. April 2010 hielt Prof. Dr. Gerhard Mangott im Europa Cafe (Mediencenter des Landes Steiermark ) über Einladung der Landes Abteilung Europa und Außenbeziehungen einen Vortrag mit dem thematischen Schwerpunkt „Russland und Westeuropa“.

Die Veranstaltung war im Internet mitzuverfolgen und kann über

http://app.streaming.steiermark.at/Streamarchiv/CafeEuropa/CE_Russland.wmv

angesehen und heruntergeladen werden. G. Mangott ist Professor an der Universität Innsbruck und anerkannter Russlandexperte. Bemerkenswert sind seine fundierten und korrekten Analysen, die sich nicht dem allgemeinen „mainstream“ unterordnen und Russland bei aller möglicherweise gerechtfertigten Kritik weitgehend Gerechtigkeit widerfahren lassen. Bei seinem Vortrag in Graz wies Mangott darauf hin, daß in Österreich nur eine beschränkte und sehr einseitige Informationslage unter der Mehrheit der Bevölkerung vorherrsche. Dies sei durch die meist sehr leichtfertige und unprofessionelle Arbeit in der österreichischen Medienlandschaft begründet. Wesentlich besser, weil sachlicher und weniger emotional, sei die Berichterstattung in Deutschland.
Die Deutschen hätten zu Putin ein wesentlich entspannteres und positiveres Verhältnis als der überwiegende Teil der österr. Bevölkerung.Durch diese sachlich unbegründbaren Vorbehalte unter vielen unserer Landsleute käme es häufig zu skeptischen Reaktionen im Bereich der Wirtschaft. Auch das Zusammenarbeiten und Zusammenwachsen auf verschiedenen unteren Ebenen – Partnerschaften, wissenschaftliche Kontakte usw…- würde dadurch häufig blockiert.

Seit 1999 habe Russland unter Putin bemerkenswert gute Wachstumsraten zu verzeichnen gehabt, die Verschuldung des Landes sei relativ sehr
gering; die weltweite Krise sei jedoch auch hier deutlich zu spüren. Die Gesellschaft sei hinsichtlich der Einkommen und des Lebensstandards zunehmend sehr inhomogen, dazu kämen auch die sehr großen regionalen Unterschiede. Im aufkeimenden radikalen Islamismus sieht der Referent zunehmendes
Gefahrenpotential.

Weitere Schwerpunkte des Referats waren u. a. die Ukraine, Energiefragen und die russisch – westeuropäischen Beziehungen. ( Näheres unter der o.a. Internetadresse ).
( Peter Presinger )

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