Kriegsende in Graz21.05.2010
Interview mit dem ehemaligen Sowjetoffizier und ersten provisorischen
Kommandanten von Graz, Jampolskij ; Ausschnitt betreffend Graz .
( aufgenommen am 27. 11.1999 in Moskau ).
…………auf welche Weise wurde Graz besetzt und wie wurden Sie zum
Stadtkommandanten?
….in Graz waren keine grossen Kampfhandlungen. Die Deutschen sind
abgehauen, und wir sind nach Graz weitergezogen. Eine unserer
Einheiten ist in Graz einmarschiert und ist dort geblieben. Und warum
ich an dieser Operation nicht teilgenommen habe – es gibt eine kleine
Stadt namens Fürstenfeld – und ich hatte den Befehl bekommen, dort zu
bleiben, denn es gab angeblich in Fürstenfeld viele Wertsachen und
österreichische Goldbestände. Ich hatte ein Auto voll mit Leuten und
wir sollten dies holen. Einen Tag zuvor war ich aber gestolpert,
hatte ein geschwollenes Bein und konnte nicht fahren und musste im
Bett bleiben. Und in diesem Fürstenfeld haben wir überhaupt kein Gold
gefunden. Und dann sind sie ohne mich weiter gefahren. Und als ich
wieder gesund war, hat mein Divisionskommandeur zu mir gesagt: „ Wir
haben Graz besetzt, du kannst besser als die anderen Deutsch sprechen
und verstehen, du musst dorthin.“ Und so bin ich zum provisorischen
Kommandanten von Graz ernannt worden, und so hat meine Ernennung
ziemlich prosaisch stattgefunden .Als ich zum Kommandanten ernannt
wurde, hat man mir eine Abteilung gegeben, ungefähr 30 Mann, eine
Kommandantengarde. Was musste ein Kommandant zu Beginn seines Auftrags
machen: wir sollten ein Schild machen mit der Aufschrift
„Kommandantur“. Wir machten das und fanden ein passendes Gebäude und
eröffneten die Kommandantur. Zu unseren Pflichten gehörte es, die
Ordnung in Graz aufrecht zu erhalten, damit es keine Verbrechen und
Raubüberfälle gibt. Zu diesem Zweck haben wir einen Plan gemacht. Das
hat mein Adjudant erledigt. Nach seinem Plan mußten 2 Soldaten in
jedem Stadtbezirk Streife gehen und man mußte ihnen die Ausweise
zeigen. Unsere Soldaten konnten kein Deutsch, sie verstanden nicht,
was die Leute sagten, also war das sinnlos. Sie sind patrouilliert und
es war ruhig. Und dann mussten wir noch Veröffentlichungen anschlagen,
dass alle Geschäfte, Kaffeehäuser, Friseure, Ambulanzen, Krankenhäuser
und Ärzte arbeiten müssten, um die Bevölkerung zu versorgen. Das waren
so kleine Plakate.
.…….wie war Ihre Begegnung mit Marika Rökk in Graz ?
Eines Abends öffnete ich einen Brief, in dem stand, ich sollte das
Haus des Gauleiters kontrollieren. Ich kam zu diesem Haus, es öffnete
ein älterer Mann, er war Österreicher , kein Deutscher. Wir haben eine
Durchsuchung gemacht, haben aber nur alte Pistolen gefunden. Ich hielt
das alles für Kram, das waren ganz gewiß keine Kriegswaffen. Dann kam
eine jüngere Frau und sagte: „Ich bin Marika Rökk, eine berühmte
Schauspielerin“ Wir kannten sie nicht. Erst später in Wien habe ich
Filme gesehen, darunter „ die Frau meiner Träume“. Ich weiß nicht , ob
sie das wirklich war, wir haben sie etwa 2 Tage lang bei uns behalten
und dann später zur Aufklärungsabteilung unseres Stabs gebracht , und
seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich, als Kommandant, habe
meine Soldaten gebeten, eine Bibliothek zu finden, denn wenn sie eine
so berühmte Schauspielerin wäre, müsste es dort Fotos von ihr geben.
Und sie haben wirklich Fotos von ihr gebracht. Sie hat schon sehr
ähnlich ausgesehen, aber ob sie das war, weiß ich nicht. Dann gingen
wir in die Herrengasse, dort war ein Kaffeehaus, das wir
kontrollierten , nachdem wir ein Plakat angeschlagen hatten, dass sie
offenhalten müssten. Sie sind dort aufgesprungen „Guten Tag Herr
Kommandant!“ wie es sich gehört. Ich ging hinein und habe gefragt: „Wo
ist die Musik?“ Sie haben schnell etwas organisiert, es kam ein
Pianist, ein Violinspieler und ein Kontrabaßspieler. Das war das ganze
Orchester. Österreich ist das Land von Johann Strauß. Sie spielten
Walzer und wir haben uns an einen Tisch gesetzt, der war nicht aus
Holz, sondern wie aus Marmor. Der Wirt brachte uns Wein und diese
Frau, Marika Rökk, sagte zu mir, dass sie nicht nur singen, sondern
auch tanzen könne. Und der Wirt hat uns 4 Weingläser gebracht und ich
habe gefragt: „ Können Sie tanzen?“ Und sie tanzte auf dem Tisch um
die Weingläser herum und ich habe ihr vom Tisch geholfen und habe ihr
meine Hand gegeben , und ihre Hand war wie ein Reibeisen. Und ich habe
sie gefragt: „Wieso ist Ihre Hand so hart?“ und sie hat gesagt: „Ich
habe keine Seife gehabt, nur Seifenersatz!“ Und dann haben wir sie zur
Kommandantur zurückgebracht und weitergeschickt. In Graz war ich nicht
lange, ungefähr 3 Wochen, dann hat man mich nach Wien geschickt.
……wie haben Sie Graz und die Bevölkerung in Erinnerung ?
Graz hat auf mich keinen speziellen Eindruck gemacht, ein angenehmes,
schönes , gepflegtes Städtchen mit einer Bevölkerung,die große Angst
vor uns gehabt hat. Das Verhältnis der Leute zu uns war vorsichtig,
Kontakte zur Bevölkerung gab es keine, da es keinen Grund dafür gab.
Sie hatten Angst und ich wollte mich nicht aufdrängen. Die Stadt war
so angenehm wie Österreich. Österreich hat mir überhaupt sehr gut
gefallen.
Österreich hat mir von allen Ländern, die ich gesehen habe, am besten gefallen.
Wenn ich kriegsgefangene Deutsche verhören musste, was sehr unangenehm
war, waren manche so arrogant, dass sie überhaupt nicht sprechen
wollten; andere wieder sagten: „wir sind von Rhein, wir sind die
Fröhlichen.“ Etwas besonders Fröhliches habe ich an ihnen nicht
bemerkt. Sie waren so herablassend.
In Österreich sind die Leute anders.
Beim Einmarsch der vier Alliierten kam es auch zu Übergriffen gegen Zivilpersonen.
Wie war es diesbezüglich in Ihrem Kommandobereich ?
Die Soldaten in meiner Abteilung waren ausgehungert nach Frauen.
Ich sagte zu ihnen: „wenn sich jemand in so eine Sache einlässt, wird
er seine Heimat nicht mehr wiedersehen.“
Wir sind zur Befreiung gekommen, und nicht zu Raub und Vergewaltigung.
Und wir haben, soviel mir bekannt ist, auch tatsächlich keine
derartigen Fälle gehabt.
……war Ihr persönliches Verhältnis zu den Deutschen anders, als zu
den Österreichern ?
Es gab einen Unterschied, der hatte zwei Gründe:
Mit Deutschland haben wir Krieg geführt, denn die Deutschen waren in
unser Land gekommen und wollten uns erobern, und deshalb haben wir
eine bestimmte harte Linie gegen die Deutschen verfolgt. ( Wir hatten
zu ihnen ein ganz anderes Verhältnis, als zu den Österreichern ).
Und von ihrer Seite bestand eine verbitterte Beziehung zu uns. ( In
Österreich sind die Leute weicher, und an eine solche Verbitterung
gegen uns erinnere ich mich nicht.)
Da gab es eine Episode in Deutschland: wir sollten ein Dorf besetzen,
an den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern.
Unsere Vorhut hatte gemeldet, dass dort keine Soldaten seien.
Dort befand sich ein hoher Berg, den wir nicht von vorne, sondern von
der bequemeren Seite besteigen wollte. Fünfzehnjährige Burschen
bewarfen uns mit riesigen Steinen. Aber ich sagte zu den Soldaten:
„keinesfalls schießen wir auf diese Kinder“. Dieses Verhältnis zu
uns…wir hätten bei einem Angriff schießen können. Aber ich dachte
mir damals: „dumme kleine Jungen“.
Man hatte ihnen wohl eingeprägt, sich so zu verhalten, und das hätte
sie das Leben kosten können.
Das sind eben Unterschiede.